ZitatAlles anzeigenAkutsituation (Hörsturz) und die daraus resultierende psychische Belastung. Was kann man tun?
Referat von Prof. Dr. med. Armin Laubert, Universität Witten / Herdecke anlässlich einer Fachtagung am 28.02.1998.
Sehr geehrte Damen und Herren,
zunächst möchte ich mich recht herzlich bei Frau Welter, Frau Rosteck und bei Frau Dr. Pahlke für die Einladung, hier bei Ihnen einen Vortrag mit dem Thema "Akutsituation (Hörsturz) und die daraus resultierende psychische Belastung - was kann man tun?" zu halten, bedanken. Gratulieren möchte ich Ihnen zu der gelungenen Organisation dieser Veranstaltung, und ich wünsche Ihrem Verein und seinen Mitgliedern auch in Zukunft viel Engagement und Schaffenskraft für die Schwerhörigen. Dies erscheint mir besonders wichtig, da die Schwerhörigen in unserer Gesellschaft nicht so wahrgenommen werden und nicht die Förderung erhalten, die sie haben müssten und die sie verdienen.
Dieses Nichtwahrgenommenwerden von Schwerhörigkeit, ja die teilweise Ausgrenzung von Schwerhörigen in unserer Gesellschaft hat aber auch etwas mit unserer Geschichte und unserer Kultur zu tun, weshalb ich meinen Vortrag so aufgebaut habe, dass ich zunächst einige allgemeine Bemerkungen zum Ohr und zum Hören machen werde, um erst danach auf die Problematik akuter Hörstörungen und insbesondere des Hörsturzes einzugehen, einschließlich der psychologischen Phänomene.
Erlauben Sie mir also am Anfang die historische Bedeutung des Ohres kurz darzustellen. Die Bedeutung des Ohres in alten Kulturen ist in Mythen und bildlichen Darstellungen reichlich belegt. Aus dem Ägypten der Pharaonen wird überliefert, dass die Ohren damals als Eintrittstellen für den Lebens- und den Todeshauch gegolten haben.
Empfängnis und Geburt durch das Ohr sind aus der europäischen und aus der asiatischen Mythologie überliefert und wurden im Mittelalter zu einem zentralen Bestandteil der christlichen Glaubenslehre. Eines der bekannten antiken Vorbilder für die Geburt durch das Ohr ist die Zeustochter Athene, die ihrem Vater aus dem Kopf gesprungen ist.
In der Christenheit stand das Wort am Anfang und im Johannes-Evangelium heißt es "...und das Wort ist Fleisch geworden...". Aber nicht nur die Empfängnis Mariens durch das Ohr unter strikter Wahrung ihrer Jungfräulichkeit zieht sich bis in das hohe Mittelalter durch die Kunst. Auch das Entweichen der Seele durch das Ohr nach dem Tod ist Gegenstand der Malerei der Gotik im 15. Jahrhundert.
Im Gegensatz zur vorherrschenden visuell orientierten griechischen Kultur, bewahrte das Judentum die Religions-Kultursymbolik des Hörens. In dieser Hinsicht stand es den Römern näher, die ebenfalls eine innere Beziehung zwischen ihrem geschichtlichen Berufungsbewusstsein und dem Hören auf Tradition und Autorität, also dem Gehorchen, sahen.
Die christliche Überlieferung, wichtiges Fundament der abendländischen Kultur, beruht im Wesentlichen auf Hörensagen. Im Zentrum steht nicht das Bild sondern das Wort.
Das Wort Gottes erreichte die Gläubigen jahrhundertelang über das Ohr. Die heiligen Texte lagen zwar in schriftlicher Form vor, so lange sie aber kaum jemand lesen konnte, war die Vermittlung durch liturgische Gesänge und Predigten erforderlich. Dabei fungierten die Kirchtürme als umgekehrte Trichter, die die Gebete der Gläubigen zum Himmel leiteten:
Die Kathedrale als architektonisches Hörrohr Gottes.
Die Erfindung der Buchdruckerpresse Mitte des 15. Jahrhunderts hat unsere Sinneswahrnehmung zu Lasten der Fähigkeit des "(Zu-)Hörens" verändert. Seit dem 16. Jahrhundert wurde Wissen mehr und mehr über das Auge, denn über das Ohr aufgenommen. Das Ohr hat im Empfinden der Menschen an Bedeutung verloren. Verglichen mit dem Sehen, nimmt der Hörsinn in der westlichen Kultur den 2. Rang ein.
Wie aber geht es den Menschen heute, die durch exogene Einflüsse oder endogene Faktoren in einer Kommunikationsgesellschaft Höreinbußen erleiden mussten, also schwerhörig oder taub sind?
Sie versteckten sich. Sie geben sich häufig nicht zu erkennen. Sie versuchen, ihr Handicap zu überspielen und -das schon seit tausenden von Jahren-.
Zur Erinnerung: im Corpus juris des römischen Kaisers Justinians, ca. 500 n.Ch., wichtige Grundlage vieler moderner Rechtsaufassungen, findet sich zur Stellung der Gehörlosen in der Gesellschaft das folgende Verdikt:
"Es sind ihnen alle Rechte und Privilegien eines Staatsbürgers zu verwehren".
Diese Diskriminierung hat sich im Grunde trotz fortschrittlicher sozialer Gesetzgebung bis in die Gegenwart erhalten. Waren die Seher der Antike blind, so ist die Blindheit heute stets mit Tragik umflort. Taubheit verbindet sich eher mit Minderwertigkeit, es sei denn, es betrifft einen Beethoven.
Mit Blinden gehen wir im allgemeinen behutsamer um als mit Tauben. Blindheit ist sichtbar, Taubheit fällt dagegen nicht ins Auge; Blindheit lässt sich nicht verbergen, Taubheit sehr wohl und auch heute noch ist den meisten Menschen Schwerhörigkeit eher peinlich als Fehlsichtigkeit. Eine Brille wird im Dienste der Persönlichkeitsgestaltung auch schon einmal als Attrappe getragen. Ein Hörgerät kaum.
Hier sehe ich einen wichtigen Beitrag der Betroffenen, der Selbsthilfegruppen und Ihres Deutschen Schwerhörigenbundes, sich nicht an den Rand drängen zu lassen, sondern ihren berechtigten Forderungen Ausdruck und Nachdruck zu verleihen. Deshalb ist diese Veranstaltung auch so wichtig, um der Öffentlichkeit ihre berechtigten Forderungen auch näher zu bringen und zu vermitteln.
Sie sind nicht allein. Ca. ¼ der Bevölkerung Europas und der Vereinigten Staaten leidet unter Hörproblemen jedweder Art. Nach Schätzungen des Deutschen Grünen Kreuzes leben in der Bundesrepublik Deutschland ca. 12 - 16 Millionen Menschen mit gravierenden Höreinbußungen, also Schwerhörige.
Sie stehen also nicht allein dar. Nehmen Sie Ihr Schicksal an und vertreten Sie Ihre berechtigten Forderungen auch in der Öffentlichkeit. Aber Sie tun es ja bereits, da Sie ja an dieser Veranstaltung teilnehmen und im Deutschen Schwerhörigenbund mitarbeiten. Ermutigen Sie aber auch die anderen, nur so können Sie noch mehr Öffentlichkeit herstellen. Benutzen Sie die Medien als ein Sprachrohr für die Öffentlichkeit, damit Sie gehört werden, damit Ihnen zugehört wird.
Zurück zum Ohr.
Ohren beginnen sich am Ende der 4. Embryonalwoche zu entwickeln und die Ohren entwickeln sich schneller als alle anderen Organe. Schon in der 22. Schwangerschaftswoche ist das innere Hörorgan, also das eigentliche Sinnesorgan, die Schnecke oder auch Cochlea genannt, vollständig ausgebildet.
Das Phänomenale:
die Cochlea hat bereits ihre endgültige Größe erreicht.Alles an uns wächst bis zum 17./ 18. Lebensjahr, nur die Cochlea ist tipp-topp fertig in der Halbzeit der Schwangerschaft. Am anderen Ende unseres Lebens hat die Sterbeforschung gezeigt:
Im Sterben, wenn alle Sinne erloschen sind, wenn wir vor Schmerzen nichts mehr fühlen können, wenn die Augen schon lange geschlossen sind, wenn wir nicht mehr schmecken und nicht mehr riechen können, dann ist der Hörsinn meist noch erhalten, nämlich bis zu einer Stunde nach dem Tode sind im Ohr noch Potentiale ableitbar. Auch im Schlaf, in Narkose und im Koma ist hören möglich.
Ca. 35.000 Sinnes- und Haarzellen sitzen im Innenohr auf jeder Seite und empfangen sämtliche von den Ohrmuscheln aufgefangene, durch die Knöchelchen des Mittelohres übertragene und in die Flüssigkeit des Innenohres fortgeleitete Schallwellen und übersetzen diese in elektrische Impulse, die dann von ca. 10.000 Nervenfasern weitergeleitet werden. Für diese komplexen Analyse- und Kodierungsvorgänge benötigt das Innenohr ca. eine 2/1000-Sekunde. Jeder auf das Ohr auftreffende Schall, jeder Klang, wird in seiner Komplexität aufgenommen, analysiert und transformiert. Wohlgemerkt, es handelt sich hier nicht nur um Sprache oder Musik sondern um jede Frequenz, jede akustische Schallsensation. Jeder unterschiedliche Schalldruck wird von den Sinneszellen in elektrische Energie übersetzt. Das heißt auch, dass diese Frequenzanalyse und Zeitauflösung in kaum vorstellbarer kurzer Zeit vollzogen wird.
Bei diesen Betrachtungen müssen wir immer bedenken, dass unser Ohr alle Zeit, von der Mitte der Schwangerschaft bis zum Tod, jeden Tag 24 Stunden empfangsbereit ist und dass unser Unterbewusstsein ständig akustische Signale verarbeitet und das auch im Schlaf.
Tatsächlich ist es diese Reizvielfalt und die Reizüberfrachtung unserer modernen Gesellschaft, ob sie nun Industrie-, Informations- oder Kommunikationsgesellschaft genannt wird, die den Menschen vollständig überfordert, den inneren Speicher überquellen lässt und damit letztlich zu Störungen führt.
Die Hauptursache für Hörstörungen, so wird heute angenommen, ist der Lärm. Dabei ist es für das Ohr unabhängig, ob es sich um ein Rockkonzert oder klassische Musik handelt, um Arbeitslärm oder Verkehrslärm, einen Düsenjäger oder einen Gewehrschuss. Letztlich entscheidend ist für eine Schädigung des Ohres die Funktion aus Lautstärke und Dauer einer Lärmexposition.
In den vergangenen Jahrzehnten war der Lärm am Arbeitsplatz eines der dringlichsten Probleme und eine der häufigsten Ursachen von Schwerhörigkeiten. Noch heute ist die Lärmschwerhörigkeit die häufigste Berufserkrankung, weil sie erst nach Jahrzehnten manifest wird und dann gegebenenfalls Rentenansprüche nach sich zieht.So sind gerade die Berufsgenossenschaften vermutlich wegen dieser hohen finanziellen Aufwendungen sensibilisiert und haben große Anstrengungen gegen Lärmbelastung am Arbeitsplatz unternommen. So wurden schallgekapselte Maschinen konstruiert und vorgeschrieben. Lärmarbeitsplätze, d.h. Lärmbelastung von 90 dB und mehr, sind genau definiert und sie dürfen nur mit persönlichen Gehörschutzmaßnahmen betreten werden.
In neuerer Zeit hat sich die Lärmbelastung von der Arbeitszeit in die Freizeit verlagert. Hierzu zählen neben den unfreiwilligen Verkehrbelastungen in den Städten, die Lärmexpositionen, denen wir uns freiwillig aussetzen, wie z.B. der Besuch von Großveranstaltungen, Rockkonzerten, Discotheken und das Tragen von sogenannten Walkmen, bei denen Schallenergien das Ohr von 90 dB - 100 dB und mehr erreichen, die an Arbeitsplätzen nicht tolerabel wären und zumindest als Lärmarbeit zu deklarieren wären. Nach einer Statistik der Verbraucheranalyse von 1995 geben 42% der Befragten an, in ihrer Freizeit Musik zu hören.
Diese Lärmbelastung ist nach heutigem Kenntnisstand wahrscheinlich die häufigste Ursache für eine akute oder chronische Schwerhörigkeit, eben weil das Ohr 24 Stunden jeden Tag offen ist, beginnend im Mutterleib, bis ca. eine Stunde nach dem Tod und auch im Schlaf.
Nun zu den akuten Hörstörungen:
Akute Hörstörungen, d.h. akute Hörverschlechterungen bzw. akute Schwerhörigkeiten, können verschiedene Ursachen haben. Sie bedürfen deshalb einer ausgiebigen Diagnostik. Eine akute Schwerhörigkeit kann z.B. durch einen Ohrenschmalzpfropf bedingt sein, der dadurch verursacht wird, dass der Gehörgang durch Ohrenschmalz verstopft wird, was besonders z.B. nach dem Duschen oder nach dem Baden auftreten kann.
Auch ein Mittelohrerguss, eine akute Mittelohrentzündung oder eine Otosklerose können zu einer mehr oder weniger akuten Schwerhörigkeit führen. Diese Schwerhörigkeiten sind dann mittelohrbedingt.
Akute innenohrbedingte Hörstörungen können durch ein akutes Lärmtrauma, ototoxische Medikamente, verschiedene Infektionskrankheiten, wie den Herpes zoster oticus oder die Borreliose, auftreten oder mit einem Morbus Menière vergesellschaftet sein oder als sogenannte fluktuierende Tieftonschwerhörigkeit isoliert auftreten. Der sogenannte Hörsturz ist eine Ausschlussdiagnose, d.h., alle die vorgenannten Ursachen akuter innenohrbedingter Hörstörungen müssen ausgeschlossen sein. Als Hörsturz wird eine akute innenohrbedingte Hörstörung bezeichnet, deren Ursache unbekannt ist und bei der wir eine Microzirkulationsstörung annehmen.
Gleichzeitig muss auch eine akute neurale Schwerhörigkeit, wie beim Acusticusneurinom oder der Multiplen Sklerose, audiometrisch ausgeschlossen werden.
Erst wenn alle anderen Ursachen ausgeschlossen sind und die akute Innenohrschwerhörigkeit, letztlich unklarer Genese besteht, ist die Diagnose "Hörsturz" gerechtfertigt. Diese Ausschlussdiagnose "Hörsturz" setzt also eine ausführliche hals-nasen-ohrenärztliche Diagnostik voraus.
Klinische Zeichen des Hörsturzes sind die Plötzlichkeit, also das akute Auftreten, da meist nur ein Ohr betroffen ist, also die Einseitigkeit, die relativ gute Prognose, aber auch die Neigung zu Rezidiven und die Auslösung durch psychologische Faktoren, wie z.B. Stress und Unterkühlung. Häufig weisen Patienten mit Hörsturz auch weitere cardio-vasculäre Risikofaktoren, wie Blutzuckerkrankheit und Bluthochdruck, auf.
Nach großen Statistiken ist anzunehmen, dass der Hörsturz bei 10 - 20 pro 100.000 Einwohner pro Jahr auftritt, d.h., dass 8.000 - 16.000 Menschen pro Jahr in Deutschland einen Hörsturz erleiden. Der Hörsturz tritt bei Männern häufiger auf als bei Frauen. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 30. und dem 60. Lebensjahr.
Was ist zu tun? Was sollte man machen, wenn man eine akute Hörverschlechterung bemerkt?
Suchen Sie so schnell wie möglich einen HNO-Arzt auf. Der HNO-Arzt wird Sie untersuchen und eine Hörprüfung durchführen sowie eine ausführliche Hördiagnostik beginnen, um die oben genannten Ursachen auszuschließen. Können keine anderen Ursachen festgestellt werden und sind auch neurale Schwerhörigkeiten ausgeschlossen, so wird bei einer akuten Innenohrschwerhörigkeit die Diagnose "Hörsturz" gestellt.
Die Diagnose "Hörsturz" ist als Notfall anzusehen und eine frühzeitige Behandlung zu beginnen. Als Therapie werden heute im Allgemeinen eine durchblutungsfördernde Infusionstherapie (ambulant/stationär) durchgeführt oder auch eine hyperbare Sauerstofftherapie empfohlen.
Die Prognose eines Hörsturzes ist im Allgemeinen gut. Nach früheren Untersuchungen ist sogar eine Spontanremissionsrate von ungefähr 60% anzunehmen.
Eine schlechtere Prognose besteht bei älteren Patienten, die älter als 60 Jahre sind, bei Diabetikern, bei vorgeschädigten Ohren, bei begleitendem Drehschwindel und bei vollständiger Taubheit.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass der Hörsturz eine plötzliche einseitige Innenohrfunktionsstörung unklarer Genese ist, die als Notfall zu behandeln ist.
Als Hals-, Nasen und Ohren-Arzt hat man den Eindruck, dass in den letzten Jahrzehnten in der Bevölkerung ein Sinneswandel bezüglich der akuten Hörstörungen stattgefunden hat. Bei akuten Hörstörungen und hier ist der Hörsturz wohl die häufigste Ursache, ist in der Bevölkerung eine Sensibilisierung eingetreten. In den meisten Fällen wird schon relativ frühzeitig ein Arzt konsultiert und vielfach eine frühzeitige Behandlung eingeleitet.
Die Zunahme der Häufigkeit des Hörsturzes - der Begriff Hörsturz wurde erst 1960 von Lehnhardt kreiert - ist unklar, eine Sensibilisierung der Bevölkerung allein, erklärt dieses Phänomen nicht. Vielleicht ist es auch ein Abwehrmechanismus des Ohres, eine Gegenreaktion auf die Reizüberflutung in der Kommunikationsgesellschaft. Da gleichzeitig auch physiologische und psychologische Erschöpfungszustände eine Rolle bei der Entstehung des Hörsturzes spielen sollen, scheint hier auch die Metapher " Ich will nichts mehr hören" gerechtfertigt. Anscheinend scheint der Hörsturz auch eine Zivilisationserkrankung zu sein, da er häufig mit cardio-vasculären Risikofaktoren assoziiert ist. Ein Indiz für den funktionellen Charakter des Hörsturzes, der dann auch als psychosomatische Erkrankung angesehen werden könnte, ist die relativ hohe Spontanremissionbreite von 60% - 90%. Trotz dieser hohen Spontanremissionsrate, hat sich eine durchblutungsfördernde Infusionstherapie etabliert, die als "Goldstandard" unter stationären Bedingungen durchgeführt werden sollte, eben um die psychogene Komponente positiv zu beeinflussen und den Patienten "zur Ruhe kommen" zu lassen.
Die zunehmende Häufigkeit der Diagnose "Hörsturz" und wie darüber auch in der Öffentlichkeit geredet wird, lässt häufig den Verdacht aufkommen, dass der Hörsturz "schon zum guten Ton" gehört, d.h., dass man eigentlich schon einmal einen Hörsturz gehabt haben muss, um dazu zu gehören, da wir alle ja unter Stress stehen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Für die allermeisten Menschen ist die akute Schwerhörigkeit schon ein beängstigendes und auch einschneidendes Erlebnis, das sie erst verarbeiten müssen. Aber nach überstandener Krankheit, also nach Wiederkehr des Gehöres, eben wegen der guten Prognose des Hörsturzes, wird das akute Ereignis des Hörsturzes dann als Episode häufig schnell abgehakt. Im Bekanntenkreis kann dann relativ unbeschwert über diese Episode berichtet werden und häufig wird damit auch zum Ausdruck gebracht, wie sehr man doch gestresst ist.
Da die Ursache des Hörsturzes letztlich unklar ist, ist es meines Erachtens auch nicht gerechtfertigt, ärztlicherseits Ängste zu schüren, indem man sagt: "Seien Sie aber froh, dass sie einen Hörsturz erlitten haben, es hätte auch ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt werden können." Selbst wenn diese Aussagen gut gemeint sind, schüren sie Ängste beim Patienten, was einer Genesung nicht förderlich ist. Selbstverständlich sollte ein solches Ereignis den Patienten zu einem Überdenken der eigenen Lebensführung veranlassen. So sind die Patienten darin zu unterstützen und auch dahingehend zu unterrichten, dass eine gesunde Lebensführung ein erneutes Auftreten eines Hörsturzes vermeiden hilft, wie sie auch der Vermeidung anderer Zivilisationskrankheiten dient.
Der Hörsturz ist für die meisten Menschen eine beängstigende Situation, letztlich aber eine Episode mit "Happy End".
Hörsturz und daraus folgende Probleme
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Th.Henss -
28. Oktober 2006 um 12:40
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Sehr gelungener Beitrag.